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Gastmahl

Installation und Aktion
Kultursommer
Ingelheim, 31.06.2010

 

 

Aktion:
2 Personen im Austausch über Zeichen der Hoffnung


Inhalt:
Installation im Altarraum aufgebaut
auf dem Tisch stehen Schalen mit Losen
Diese Lose enthalten Zitate der Hoffnung aus dem folgenden Dialog
und werden als Spuren der Hoffnung nach der Aktion in der Kirche ausgelegt

Zwischen den Prinzipien Macher und Seher,
wird ein Möglichkeitsraum geschaffen,
in dem aus der jeweiligen Gegenwart
Bilder der Hoffnung und Zukunft entstehen

 

Ablauf:
Die beiden Protagonisten kommen aus dem Publikum an den Tisch;
sitzen sich gegenüber;
sprechen von dem was ist und von dem was möglich sein könnte;
rücken mit jedem Wortwechsel aufeinander zu;
wenn sie nebeneinander sitzen,
sind aus Friedrich und Hildegard
und aus den abwesenden Vertretern von Kirche, Staat, Wirtschaft und Kultur
DU und ICH geworden,
der oder die EINZELNE Person,
die einen Unterschied macht,
zwischen dem, was ist und dem, was möglich sein könnte

 

 


H und F stehen aus dem Publikum auf
gehen zu den entgegengesetzten Enden des Tisches
und führen folgenden Dialog:

N: Hildegard von Bingen
Frau, adlige Nonne, Äbtissin, Klostergründerin,
Mahnerin, Seherin, Visionärin

C: Friedrich der 1. genannt Barbarossa
Mann, Sohn eines Staufers und einer Welfin,
schwäbischer Herzog, deutscher König, Kaiser des Heiligen Römischen Reiches
Kreuzzügler, Papstgegner, wandelbarer Politiker

N: Friedrich und Hildegard
der Macher und die Mahnerin

Jeder auch mit Wesenszügen des anderen ausgestattet
Prototypen und Handlungsmodelle für heute

C: beide der Zukunft zugewandt in der Überzeugung:
Veränderung der bestehenden Situation ist möglich !

N: Freiraum als Möglichkeitsraum verstanden
für die Gestaltungsmacht des Menschen

tätiges Leben für konkrete Utopie

C: Die beiden haben sich vielleicht getroffen;
zu sprechen über das, was nicht ist,
und zu erkennen, was möglich sein könnte

N: Weil keiner da ist
bleibt Platz frei für das was möglich ist:

C: Die Welt nicht als geschlossenes System begreifend,
sprechen und hoffen sie

 


F: Du bist die Visionärin, kannst du das erklären?

Die Elite aus Politik, Wirtschaft, Kirche und Kultur
ist zu einem Gastmahl eingeladen.

Kirchenfürsten, Investmentbanker, Präsidenten . . .

Keiner ist erschienen.

H: „Du bist doch auch nicht nur der blinde Macher.
und ich bin nicht die einzige Seherin meiner Kirche
und es ist auch nicht immer nur schlecht was wir sehen:

Bei Jeremia heißt es in Kap. 29 Vers 11:
„ . . . das ich euch gebe Zukunft und Hoffnung!“

Lass uns darüber reden, was ist und was sein könnte!“

F: Zukunft und Hoffnung?
Haben dir deine Visionen den Blick auf die Wirklichkeit getrübt?
Bist du nicht selbst dein bester Augenarzt?

Kannst du nicht erkennen wie nach meinem talentierten Nachfolger,
den Sie das Staunen der Welt nennen werden,
diese staunende Welt im dunklen Mittelalter versinkt?“

 

H steht auf und zitiert:
 
„Wenn es aber einen Wirklichkeitssinn gibt, und niemand wird bezweifeln, dass er seine Daseinsberechtigung hat, dann muss es auch etwas geben, das man Möglichkeitssinn nennen kann. Wer ihn besitzt, sagt beispielsweise nicht: Hier ist dies oder das geschehen, wird geschehen, muss geschehen; sondern er erfindet: Hier könnte, sollte oder müsste geschehen; und wenn man ihm von irgend etwas erklärt, dass es so sei, wie es sei, dann denkt er: Nun, es könnte wahrscheinlich auch anders sein.

So ließe sich der Möglichkeitssinn geradezu als die Fähigkeit definieren, alles, was ebenso gut sein könnte, zu denken und das, was ist, nicht wichtiger zu nehmen als das, was nicht ist.“

Robert Musil, Der Mann ohne Eigenschaften Bd. 1, S.16


F rückt einen Sitz weiter

F: Hier sitzt kein barmherziger Vertreter der Kirche, weil sie fern vom Elend der Welt ganz selbstzufrieden ihre gewaltigen Kirchengüter verwalten.

Hier sitzt kein gläubiger Vertreter der Kirche, weil sie mit ihrem patriarchalischen Herrschaftsanspruch eine Gemeinschaft im christlichen Sinn verhindern.

Hier sitzt auch kein liebevoller Vertreter der Kirche, weil sie mit Kindesmissbrauch und dessen Vertuschung beschäftigt sind,
und dadurch das genaue Gegenteil von Heil in die Welt bringen.

H rückt einen Sitz weiter

H: Anderes ist möglich:

Es könnte möglich sein, einen gläubigen Papst zu finden,
der nicht die moderne Inquisition verkörpert, sondern das Evangelium lebt.

Es könnte möglich sein, eine glaubwürdige Bischöfin zu finden,
die Verantwortung für ihre Fehler übernimmt.

Es könnte möglich sein, einen Theologen zu finden,
der im Gegensatz zur Kirche der Herrschenden
eine Theologie der Befreiung predigt.


F steht auf und zitiert:
 
„Der Mensch lebt noch überall in der Vorgeschichte, (ja alles und jedes steht noch vor Erschaffung der Welt, als einer rechten.) Die wirkliche Genesis ist nicht am Anfang, sondern am Ende, und sie beginnt erst anzufangen, wenn Gesellschaft und Dasein radikal werden, das heißt sich an der Wurzel fassen. Die Wurzel der Geschichte aber ist der arbeitende, schaffende, die Gegebenheiten umbildende und überholende Mensch. Hat er sich erfaßt und das Seine ohne Entäußerung und Entfremdung in realer Demokratie begründet, so entsteht in der Welt etwas, das allen in die Kindheit scheint und worin noch niemand war: Heimat.“
(Ernst Bloch, Prinzip Hoffnung, S. 1628)

H:
Hier sitzt kein Vertreter der souveränen Politik,
weil Lobbyinteressen und Wiederwahl viel wichtiger sind.

Hier sitzt kein Vertreter der verlässlichen Politik,
weil manche gerade durch Umfragetiefstwerte,
Untersuchungsausschüsse und unerwartete Rücktritte verhindert sind.

Hier sitzt kein Vertreter der kreativen Politik,
der über die üblichen üblen Wortfloskeln hinaus
mit eigenen Gedanken eine Orientierung geben könnte.

F rückt einen Sitz weiter

F: Anderes ist möglich:

Hier könnte mein Enkel Friedrich der 2. sitzen,
der nicht nur das Staunen der Welt war,
sondern an der Welt auch staunend Anteil nahm,
eigene Ideen entwickelte
und die westliche mit der östlichen Welt zusammenbringen konnte,

Hier könnte jemand wie Kofi Anan sitzen,
der trotz seiner Karriere in einer westlich orientierten Großorganisation,
seine afrikanischen Wurzeln
fruchtbar zur Völkerverständigung einsetzen konnte.

Hier könnte auch jemand wie Daniel Cohn-Bendit sitzen,
ein deutscher Franzose, oder französischer Deutscher,
ein staatstragender Revolutionär und ein träumerischer Realist
als der neue Verwirklicher des europäischen Einheitsgedankens,
den schon mein Vorvorgänger Karl der Große realisierte
H steht auf und zitiert:
Sozialisierung der Verluste und Privatisierung der Gewinne bedeutet die asoziale Ausplünderung eines bisher gut funktionierenden Gemeinwesens.
Man nennt dieses Gemeinwesen auch Staat, oder Land, oder Kommune. Egal wo, überall fehlt UNS allen dieses ergaunerte Geld,
wenn es uns nicht gelingt
neuartige Finanzierungsmöglichkeiten der Sozialstrukturen zu finden.
 Yug Drobed,  französischer Situationist,  zur Bankenkrise 2009

F rückt einen Sitz weiter:

F: Hier sitzt kein Vertreter der modernen Großbanken,
weil deren Hauptinteresse die Erhöhung der Eigenkapitalrendite ist, ohne Rücksicht auf Verluste und ohne Aussicht auf wirkliche Wertschöpfung.

Hier sitzt kein Vertreter der Handelsimperien,
weil diese mit der Auspressung der Erzeuger beschäftigt sind
und dafür sorgen, dass die Armen ärmer und die Reichen reicher werden.

Hier sitzt auch keinVertreter der Altindustrien, weil die ja weiterhin ihre hoffnungslos veralteten Verbrennungsmotormaschinen,
ihre unwirtschaftlichen Riesenkraftwerke
und ihre absolut nutzlosen Wegwerfprodukte produzieren müssen.

H rückt einen Sitz weiter:

H: Anderes ist möglich:

Hier könnte ein Bankier wie Mohammed Yunnus sitzen,
der Armen mit Kleinkrediten zu wirtschaftlicher Unabhängigkeit verhilft.

Hier könnte ein Limonadenunternehmer sitzen,
der durch die Produktion seines neuartigen Erfrischungsgetränks
nachhaltige Produktion und lokales Handeln wirtschaftlich erfolgreich umsetzt.

Hier könnte der Internet-Erfinder Tim Berners-Lee sitzen,
der keinen milliardenschweren Softwarekonzern gründete,
sondern seine Kreativität
in den Schutz der allgemeinen, freien Zugänglichkeit des Netzes stellt.
  

 


F steht auf und zitiert:
 
Kunst, als emanzipatorische Tätigkeit, zeigt auf, dass es Handlungsspielräume gibt (nicht nur für Künstler, sondern für jeden Menschen – jeder Mensch ist Künstler bei Nutzung seiner Handlungsspielräume).
Die bekannte Aufforderung, jeder Mensch sei ein Künstler, greift so gesehen noch zu kurz, müsste sie doch eigentlich heißen: Jeder Künstler sei ein Mensch -  als ein der Utopie fähiges und diese in die Gegenwart herbeischaffendes Wesen.
Christa und Hans Klaus, Künstlerpaar in: Blochalmanach 28/2009 S. 155

H rückt einen Sitz weiter

H: Hier sitzt kein etablierter Vertreter der bildenden Künstler,
da diese als Prostituierte des Kunstmarktes
mit der Erhöhung ihres Marktwertes beschäftigt sind.

Hier sitzt kein Vertreter der engagierten Schriftsteller,
weil diese mit der Beschreibung ihrer innerlichen Befindlichkeit beschäftigt sind.

Hier sitzt kein Vertreter der politischen Musiker,
weil ihnen die Inhalte für ihre Lieder entfallen sind.

F. rückt einen Sitz weiter

F: Anderes ist möglich:

Hier könnte ein Künstler sitzen, der seine Mitmenschen nicht als Bewunderungsmaterial für den eigenen Bauchnabel betrachtet,
sondern als Mitschöpfer an dem Kunstwerk Gesellschaft.

Hier könnte ein Schriftsteller sitzen,
der beschreibt wie die Entwicklung einer menschlichen Gesellschaft aussieht.

Hier könnten Sänger sitzen,
deren Lieder uns auf diesem Weg ermutigen.

 

 

H steht auf und zitiert:

„Es gab große Zeiten, in denen die Künste blühten, die Menschen aber, welche die Dinge erschufen, ganz kleingeschrieben wurden, ja anonym blieben.
Wir sprechen im Hinblick auf ein geschlossenes, abgerundetes Werk heute anerkennend von einer geschlossenen Persönlichkeit.
Es gibt aber zu denken, dass das Wort „Person“ von dem lateinischen „personare“ kommt und wörtlich „hindurchtönen“ heißt. Nicht die Geschlossenheit, die Durchlässigkeit, also das Gegenteil dessen, was der übliche Sprachgebrauch heute unter Person versteht, ist der ursprüngliche und eigentliche Sinn des Wortes.
Person existiert nur in der Transparenz. Der Mensch ist tatsächlich nur insoweit, wie der Geist ihn durchdringt, durch ihn hindurchtönt. Der Geist macht ihn zur Person.“
Emil Steffan, deutscher Architekt, 1964

F und H rücken gleichzeitig einen Sitz weiter

F: Hier könnten also verschiedene Personen sitzen

H: JA - Einzelne Personen die einen Unterschied machen

F: Einen Unterschied in dem, was ist

H: Und vor allen Dingen, einen Unterschied in dem, was sein könnte

F: Das heisst Du machst den Unterschied

H: Das heisst Du machst den Unterschied

F: Das heisst auch:

SIE machen den Unterschied!!!

H: SIE machen den Unterschied zwischen dem was ist

F: und dem ANDEREN was auch MÖGLICH ist !!!

 

 

2. Teil:

N + C stehen mit jeweils 2 Körben
vor dem Tisch
im Mittelgang

C: Dies war ein BegriffsBild
Wir nennen uns auch BegriffsBilder

N: und wir bearbeiten Begriffe auf künstlerische Art und Weise so lange,
bis wir erkennen können, was ursprünglich damit gemeint war:

C: So auch den Begriff
der Kollekte –
von lateinisch colligere: sammeln

N: Bereits in der Urkirche wurde für besondere Zwecke gesammelt.
Wir bitten Sie nun für den sehr besonderen Zweck der UTOPIE
sich selbst zu sammeln

C: Damit dies noch besser gelingt,
wird aus dem vertrauten Klingelbeutel -
ein Kulturbeutel

N: Ein Kulturbeutel mit Losen
Keine Kulturlose,
sondern Lose mit Worten der Hoffnung.
Also durchaus konstruktive Hoffnungslose!

C: Diese Hoffnungslose
werden wir jetzt hier verteilen,
damit Möglichkeiten weiterhin wachsen.

 

Verteilung der Lose wie Messdiener
langsam im Mittelgang gehend
Körbe durch die Bank gebend
und die Leute ermutigend

 

Die restlichen Körbe
verbleiben während der Ausstellungsdauer
in der Saalkirche